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Bleiben Sie ARD-aktuell gewogen - Status Quo vom Niedergang des deutschen, öffentlichen Rundfunks

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Wie ist denn Ihr Eindruck von dem Sender? Oder anders gefragt: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Volker Bräutigam: Ich nenne zwei für mich wesentliche Erfahrungen. 1979 wurde die etwas "angejahrt" wirkende Tagesschau reformiert. In der runderneuerten Hauptabteilung "ARD-aktuell" erschienen die Tagesschau und neu die moderierte Nachrichtensendung Tagesthemen. Der Journalist Dieter Gütt wurde Chefredakteur, und ich erlebte ihn und meine unmittelbar vorgesetzten Dienstleiter als um seriöse Arbeit, um guten Journalismus bemühte Männer. Es herrschte ein sachliches, sehr kollegiales Klima. In den Konferenzen wurde ergiebig diskutiert.
br /> Die glücklichste Zeit meines Berufslebens war von 1979 bis 1982. Danach, dem parteipolitischen Trend in den Bundesländern folgend, wurde Edmund Gruber Chefredakteur, ein CSU-Parteimann. Von da an folgte eine innerredaktionelle Schräglage der anderen. Ich verlor jede Hoffnung auf ein halbwegs konfliktfreies sauberes Arbeiten.br /> br /> Der andere Eindruck: Bis 1984 hatte es in der BRD nur öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben. Er war fraglos staatstragend, dennoch wirkte er als Korrektiv des Politikbetriebs. Es gab kritische Sendungen, und so manche davon beendete sogar politische Karrieren. Dann kam, kurz nach Beginn der Kanzlerschaft Helmut Kohls, die völlige Veränderung der Rundfunklandschaft. Der Kommerzfunk wurde zugelassen. Von da an ging es nicht mehr um höchste Qualität nach fachlichen Maßstäben, sondern um Marktanteile, um Quoten. Statt, wie vordem, höchstens vier Spielfilmangebote pro Woche gab es plötzlich pro Tag mindestens vier oder fünf. Und die Nachrichtensendungen lieferten zusehends mehr Infotainment - also eher Show als Information.

Was sind Ihre Erfahrungen, Herr Klinkhammer?
Friedhelm Klinkhammer: Ich habe gern im NDR gearbeitet: Es herrschte viel Kollegialität, Solidarität und Verständnis untereinander. Die sozialen Bedingungen haben sich sukzessive verschlechtert, aber das war ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der auch im NDR trotz ständiger gewerkschaftlicher Gegenwehr nicht zu stoppen war. Wenig erfreulich und hausgemacht waren die negativen Entwicklungen im Programm. So wurden z.B. weitgehende "Privatisierungen" von Programmteilen veranlasst. Irrsinnigerweise wurden die Talk-Shows sogar für Millionen-Summen an Drittfirmen ausgelagert, obwohl jeder weiß, dass das Talk-Format zu den preisgünstigsten TV-Produktionen zählt.

Der Betrieb wurde auf die "aktuelle Berichterstattung" zurechtgestutzt. Eigene Ressourcen wie unabhängige Fachredaktionen und produktionstechnisches Know-how wurden aufgegeben und außerbetriebliche Abhängigkeiten geschaffen. Parallel dazu wurden unbefristete Arbeitsverhältnisse abgebaut und zeitvertragsgebundene Arbeitnehmer eingestellt. Die Folge: Die materielle Abhängigkeit ging zu Lasten der Unabhängigkeit der Programme. Wer die Erwartungen der Auftraggeber kritiklos und ohne Murren erfüllt, hat die besseren Chancen auf Vertragsfortsetzung. Vom NDR wird das begründet mit der "Vielfalt und dem Abwechslungsbedürfnis" im Programm. Als ob das nicht in eigener Kompetenz sicherzustellen wäre.

Wie würden Sie die Berichterstattung in den vergangenen Jahren charakterisieren?

Friedhelm Klinkhammer: Es gibt nach wie vor sehr gute Beiträge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, leider nur häufig zur Nachtzeit oder in den "Neben"-Sendern Arte oder "3sat".


Das ist doch schon mal was.

Friedhelm Klinkhammer: Nein, ist es nicht. Diese Beiträge dienen den ARD-Hierarchen als Alibi für ansonsten häufig kritikwürdigen Journalismus. Die überregionale aktuelle Berichterstattung orientiert sich fast ausnahmslos am Informationsniveau der privaten meinungsführenden Medien (Zeit, Welt, Spiegel etc.) nach dem Motto: Was und wie andere berichten, ist auch für uns das Maß der Dinge (übrigens eine häufige Argumentation bei den Programmbeschwerden). Informationen werden kaum geprüft und oft nur durchgereicht, das PR-Interesse der Informanten schlicht ignoriert.

Gegenüber der Politik ist man in aller Regel handzahm und unkritisch, die außenpolitische Berichterstattung orientiert sich ausschließlich an den Bekundungen und Bedürfnissen der "westlichen Wertegemeinschaft". Events und Unglücksmeldungen bekommen unangemessen hohe Programmbedeutung, die gesellschaftliche Relevanz bleibt unbeachtet.

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Also der Faktor Zeit macht sich deutlich bemerkbar.br />
Volker Bräutigam: Die fehlende Zeit ist eines der großen Problem. Ruhe, sich gründlich Gedanken über das Nachrichtenangebot zu machen, ins Archiv zu steigen, in die Bibliothek, nachzulesen, Telefonanrufe zu machen und Fachleute zu befragen, ordentlich zu recherchieren, die hat der Redakteur nicht. Zu meiner Zeit hat die Redaktion pro Tag maximal sieben Sendungen gebracht, drei Schichten haben daran gearbeitet. Heute gibt es die "Nachrichten in hundert Sekunden" und "Nachrichten im Viertelstundentakt", im Ersten Deutschen Fernsehen fast stündlich eine Tagesschau-Ausgabe.br /> br /> Ein Kollege hat mal folgenden Vergleich bemüht: Die Tagesschau war mal eine Konditorei. Jetzt ist sie eine Semmelfabrik.

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Und woran können die Zuschauer das bemessen?
Volker Bräutigam: Ganz einfach: Schauen Sie mal nach, was unsere Nachrichten darstellen müssten, wenn sie die Programmrichtlinien im Staatsvertrag einhalten würden: Einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale Geschehen geben. Die internationale Verständigung fördern. Für die Friedenssicherung und den Minderheitenschutz eintreten. Zur Wahrheit verpflichtet sein. Nicht einseitig einer Partei oder Gruppe oder einer Weltanschauung dienen. Dem Gebot journalistischer Fairness entsprechen. Sachlich und umfassend unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung beitragen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Schön, nicht?

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Quelle

Der ÖR arbeitet an seiner Abschaffung und manchmal frage ich mich...
...ob nicht genau das auch das Ziel ist.

Bewerkstelligen könnte man das recht leicht. Die Elitären ziehen sich ja gegenseitig in die Ämter. Nur um mal einen der typischen Zirkel aufzuzeigen: http://homment.com/atlantikbruecke "Liste: Diese Journalisten sind in der "Atlantikbrücke" Mitglied" von 2014, also schon etwas angegraut

(Ich erwarte übrigens, dass diese Zirkel sich zunehmend anonymisieren, da sie zu sehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt sind, seit es das Internet gibt und die medialen Schweigekartelle bröckeln.)

Diese "Spitzenkräfte" müssen dann nur noch das tun, was sie am besten können: Hofberichterstattung, Mainstreaming, Propaganda. Die machen das aus Dummheit und Rückgratlosigkeit ganz freiwillig und suchen die Probleme an anderer Stelle, bis man nichts mehr retten kann...

Ist der ÖR verschwunden (weil er als verzichtbare überteuerte Propagandamaschine empfunden wurde) dann gibt es nur noch private Propagandamaschinen. Dann ist der Weg in die totale Manipulation sozusagen frei, die USA lassen grüßen.

Das Einzige was dem entgegenwirkt, ist das Internet. Noch. Filter sind dann unter einem Vorwand schnell installiert und sie zu umgehen ist für Normalos eine hohe Hürde.

Vielleicht ein bisschen viel VT? Hätte man mir vor 20 Jahren gesagt, dass quasi alle alten Volksparteien selbst mit Enthusiasmus an ihrer Abschaffung arbeiten würden und an der Marginalisierung ihrer Machtbasis (dem Nationalstaat) sowieso, ich hätte vermutlich an eine Fehlwahrnehmung geglaubt. Aber heutzutage? Beim ÖR fühlt sich der Niedergang doch ähnlich an.

Und ich bedaure das! Ich hatte ihn mal für eine Errungenschaft gehalten und schaue immer noch gelegentlich gern die ÖR-Spartensender an, von alpha über arte bis zu ZDF neo und kultur. Leider bekommen das ausgerechnet viele "kabelverpflichtete" Städter wahrscheinlich nicht, über SAT-Antenne hat man halt die freie Auswahl.

Dort laufen auch nach wie vor hervorragende Dokumentationen, ich erinnere an "Der Banker - Master of the Universe"
oder:
http://www.neopresse.com/finanzsystem/staatsgeheimnis-bankenrettung-dokumentation-uber-den-geldfluss-der-eurokrise/
oder
"Macht ohne Kontrolle - Die Troika"

Alles mit großem Gewinn gesehen.

Oder auch witzige Sachen, die man sonst nirgends im deutschen Fernsehen findet, warum auch immer. Von "Götter wie wir" (gerade gestern wieder angeschaut auf DVD, einfach geil)
oder
https://de.wikipedia.org/wiki/Ijon_Tichy:_Raumpilot

Ich hoffe der ÖR kommt wieder in die Spur. Freiwillige Richtlinien reichen halt doch nicht, da muss knallhart gesiebt, Transparenz geübt und auch gestraft werden. Medienverbrechen (und die Anstiftung zu Krieg, ob aus Fahrlässigkeit oder Absicht, halte ich für eines) sind eben keine Kavaliersdelikte.

Quelle
Für mich ist das Ende des Interviews entäuschent. Leider fällt dein beiden Herren keine bessere Lösung ein, also ein weiteren Aufsichtsrat installieren zu wollen.
Eine Wegbewegung vom "Infotainment" hin zum genannen Volksauftrag wäre in meinem Interesse.
Seichte Unterhaltung kann man gern den privaten Sendern überlassen. Sendung mit Niveau, die dem Zuschauer das Nach- sowie Hinterfragen und Nachdenken beibringen sind gefragt. Als Alternative zur Tagesschau fallen mir netzpolitik.org und fernsehkritik.tv ein.